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Pressemitteilung: Istanbul-Konvention und Beziehungsgewalt – wenn Männer* Opfer werden

18. November 2021

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Symbolbild Wenn Männer Opfer werdenAndreas F. meldet sich bei der Männerberatung A4 in Jena, Thüringen. Seine gewalttätige Freundin, mit der er deren Kinder erzieht und einen gemeinsamen Sohn hat, wurde vor einiger Zeit von der Polizei der Wohnung verwiesen. „Sie hatten sie erst in Gewahrsam, nicht im Gefängnis, aber bei der Polizeiwache und haben sie dann auf die Psychiatrie geschafft“, berichtet der 45-Jährige. „Anschließend kam sie ins Frauenhaus, aber es war allen natürlich völlig klar, dass sie da jetzt falsch ist […] Sie war ja die, die geschlagen hat, aber es gab keinen anderen Platz, wo sie hinkonnte.“

Weil er die Freundin wieder einziehen ließ, wurde Andreas F. dann erneut zum Opfer von psychischem Druck, der wieder in körperlichen Angriffen gipfelte. „Und dann wurden auch die Pausen dazwischen immer kürzer, am Ende war es so, dass ihre Gewaltausbrüche täglich waren, mit Schlägen, sie hat nach mir getreten, sie hat immer wieder harte Gegenstände nach mir geworfen und das alles auch oft im Beisein von den Kindern“.

Bei der Männerberatung Thüringen konnte die Beraterin ihn zwar auffangen – zeitweilige Zuflucht in einer Schutzwohnung, wie das für betroffene Frauen* meist möglich ist, konnte ihm das Projekt A4 jedoch nicht anbieten. Denn Männerschutzwohnungen gibt es in Thüringen nicht; sie finden sich nur in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen – für F. viel zu weit weg.

Immerhin, „… es gibt aktuell neun Männerschutzwohnungen in ganz Deutschland, voraussichtlich kommt dieses Jahr noch eine zehnte dazu, aber nicht in Thüringen, sondern in Nordrhein-Westfalen“, sagt Frank Scheinert von der BFKM. „Das Hilfesystem im Bereich häuslicher Gewalt ist insgesamt unterentwickelt, gerade wenn Opfer- und Täterschaft wie in diesem Fall nicht gängigen Stereotypen entsprechen, beispielsweise Männer Betroffene und nicht die Täter sind.“

Damit mehr Männer* bei Betroffenheit von häuslicher Gewalt Zuflucht finden, hat die Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz (BFKM), die Frank Scheinert leitet, eine Bestandsaufnahme veröffentlicht. In dem Papier wird erstmals die Hilfelandschaft für von häuslicher Gewalt betroffene Männer in Deutschland mit dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt abgeglichen, der sogenannten Istanbul-Konvention. Das Papier der BFKM zieht dabei wichtige Schlüsse für mehr Geschlechtergerechtigkeit im Bereich häuslicher Gewalt:

  • Es braucht geschlechtsspezifische Angebote, d.h. bedarfsgerechte Schutz- und Hilfeangebote für Frauen, Männer und LGBTIQ*.
  • Dringend benötigt wird, in gemeinsamer Initiative von Bund und Ländern, eine „Ausstattungsinitiative für die Etablierung weiterer Männerschutzeinrichtungen“.
  • Bis zum Vorliegen repräsentativer Daten aus einem vergleichenden Gewaltsurvey auf Bundesebene (voraussichtlich ab 2025) sollten in den Bundesländern vorliegende Daten aufbereitet werden. Aktuell ist lt. BKA-Bericht zur Partnerschaftsgewalt 2019 nahezu jeder fünfte Betroffene von häuslicher Gewalt ein Mann.
  • Aktuelle Sensibilisierungsmaßnahmen und kleinere Kampagnen erweitern nur langsam das Bewusstsein für männliche Verletzbarkeit. Eine bundesweite Kampagne ist nötig, damit es zu einer nachhaltigen Wahrnehmung auch von Männern als Opfer von häuslicher Gewalt kommt und gewaltbetroffene Männer ermutigt werden, sich Hilfe zu holen.
  • Angehörige bestimmter Berufsgruppen, z. B. im Gesundheitsbereich oder Jurist*innen, müssen stärker für differenzierte Formen häuslicher Gewalt sensibilisiert werden.
  • Das Männerhilfetelefon 0800-1239900 sollte von weiteren Bundesländern unterstützt und seine Erreichbarkeit auf 24/7 ausgebaut werden.
  • Dort, wo es sie noch nicht gibt, müssen in den Landesregierungen Ansprechpersonen für Männerpolitik und Männergewaltschutz etabliert werden.

Die Istanbul-Konvention, auf die sich die Stellungnahme bezieht, trat in Deutschland am 1. Februar 2018 in Kraft. In Artikel 1 verlangt sie eine ganzheitliche Gewaltschutzstrategie, nämlich „umfassende politische und sonstige Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung aller Opfer von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“. Die BFKM sieht aufgrund dieser Formulierung für den Bereich häusliche Gewalt auch Männer im Geltungsbereich der Istanbul-Konvention.

Das Papier der BFKM wurde der GREVIO-Kommission zugeleitet, die im September 2021 die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland überprüft hat. GREVIO ist ein Gremium von Fachleuten, die auf europäischer Ebene die Umsetzung der Konvention durch die Vertragsstaaten überwacht und Empfehlungen formuliert.

Offiziell wird die Stellungnahme der BFKM in den Dokumenten der GREVIO-Kommission jedoch nicht auftauchen, denn Schutz von Männern vor häuslicher Gewalt zählt nach Ansicht der GREVIO-Kommission als freiwilliges Arbeitsfeld des Unterzeichnerstaates Deutschland. Die Bundesrepublik steht also aktuell nicht in der Pflicht, etwas für Männergewaltschutz zu tun, sondern unterstützt Projekte für Männergewaltschutz und die Ausweitung männerfokussierter Beratung freiwillig.

„Vielleicht wird auch der Schutz von Männern vor häuslicher Gewalt künftig bei Bund und Ländern an Bedeutung gewinnen, wenn viel mehr Fälle wie Andreas F. in Jena um Unterstützung nachsuchen“, sagt Frank Scheinert von der BFKM. „Dann könnte noch wesentlich mehr Schwung in den Aufbau der geschlechtergerechten Hilfelandschaft kommen. Geschlechtergerechtigkeit geht schließlich nur gemeinsam.“

Betroffenen wie Andreas F. kann derzeit nicht mit Zuflucht in einer Schutzwohnung, sondern lediglich mit Beratung geholfen werden. Wann eine Förderung von Männerschutzwohnungen in Thüringen ansteht, steht derzeit noch nicht fest.

 

Die Stellungnahme der BFKM ist zum Download oder zur kostenfreien Bestellung in gedruckter Form unter www.maennergewaltschutz.de/ik zu finden. Näheres über GREVIO findet sich hier und zu deren Bewertungen für Deutschland hier. Hintergrund zum Hilfetelefon für Männer gibt es hier.

Für weitere Fragen steht zur Verfügung: Enrico Damme, Fachreferent Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, eMail

Tel.: 0351-2756688

Funk: 0176-63260831

* Wir respektieren sexuelle und geschlechtliche Vielfalt.

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