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Weg ins Leben - Rezension zu Tami Weissenbergs neuem Buch

22. April 2021

Weissenberg WegInsLeben

Eine gelingende Aufarbeitung

Eine Rezension des BFKM-Teams zu „Weg ins Leben“, erschienen im April 2021

Mit einfachen, klaren Worten und großer Offenheit beschreibt Tami Weissenberg seinen „Weg ins Leben“. Gemeint ist seine Zeit nach dem Ausbruch aus einer zehnjährigen, gewalthaften Ehe mit einer Partnerin, von der sich vollkommen zu lösen wohl eine der größten Hürden war.

„Weg ins Leben“ ist der Nachfolger seines ersten Erfahrungsberichts „Darjeeling pur“. In dem 2018 erschienenen „romanhaften Tagebuch“ (Verlagsbeschreibung) beschreibt Tami Weissenberg detailliert die erfahrenen Torturen, den psychischen Druck, die Misshandlungen und die körperliche Gewalt, die seine Ehe prägten. Der „Weg ins Leben“ steht für sich, nur geringfügig erschließen sich den Leser*innen Zusammenhänge besser, wenn sie bereits den ersten Teil gelesen haben.

Der inzwischen knapp 40jährige Tami Weissenberg (der Name ist ein Pseudonym) beginnt das Buch mit einer umfassenden Entschuldigung. Es tue ihm leid, dass er im Laufe der Beziehung und auch danach viele Menschen in seinem Umfeld verletzt und vor den Kopf gestoßen habe, sei es durch die begangenen Straftaten oder durch falsche und nicht gehaltene Versprechungen.

Als angestellter Geschäftsführer mit Dienstwagen und Privilegien schienen ihm Geld und eine gelingende Versorgerrolle nützlich beim Aufrechterhalten der (vergifteten) Fassade vom starken Mann. Um die Forderungen seiner Partnerin zu erfüllen, ging er immer wieder über Grenzen bis hin zu Diebstahl und Betrug. Letztlich scheiterte sein Versuch sich „freizukaufen“ abrupt und die mühevoll aufgebaute Fassade stürzte zusammen wir ein Kartenhaus. In der Reflexion gelingt ihm nun die Erkenntnis, dass er sich in seiner Opferrolle gefiel und diese damit zementierte.

Weissenbergs Darstellung wirkt nahezu zwingend auf Grund der Umstände. Er nimmt die Leser*innen mit in seine innere Welt und beleuchtet die Fragen, die ihnen auf der Zunge brennen: „Wieso bist du nicht gegangen?“ und „Kann das Jeder*m passieren?“

Die Antwort auf letztere Frage ist vermutlich ja, denn das Entstehen von Machtgefällen in Beziehungen ist ein schleichender Prozess und das Fundament für Gewalthandlungen. Bevor mensch merkt, was vor sich geht, steckt mensch schon mittendrin. Zudem fällt es vielen Gewaltbetroffenen immer noch schwer, sich jemandem anzuvertrauen. Im Falle von Tami Weissenberg erschien der Weg in die Kriminalität sogar leichter als der, sich Hilfe zu suchen. Die Leser*innen erfahren eindrücklich, was Angst, Scham und wahrgenommene Zwänge anrichten können. Zugleich offenbart sich die begrenzte Wirksamkeit eines Hilfesystems, das zu dieser Zeit für gewaltbetroffene Männer* im Vogtland nur ansatzweise existierte.

In seiner Reflexion der vergangenen Ereignisse gelangt er zu der wichtigen Erkenntnis, dass sein Ausbruch und die physische Trennung von seiner Partnerin zwar wichtige Schritte, aber noch nicht das Ende der Gewaltbeziehung darstellen. Sich aus dieser abschließend zu befreien bedeutet für die meisten Betroffenen (therapeutische) Aufarbeitung und viel Kraft. So schreibt sich Weißenberg seinen eigenen Weg ins Leben und dabei sicher auch einiges von der Seele. Dabei schreckt er auch nicht vor der Analyse eigener persönlicher Anteile an den Geschehnissen zurück. Den Leser*innen wird deutlich: Es geht Tami Weißenberg nicht um Rache – seine Ex-Partnerin hat er nie angezeigt – es geht ihm um inneren Frieden.

Mit seinem Schicksal hat Tami Weissenberg seit 2018 viele Medienanfragen hervorgerufen und ist auf die wichtigsten davon eingegangen. Durch diesen Weg in die Öffentlichkeit gibt er männlichen Opfern häuslicher Gewalt ein Gesicht. Er ist einer der Wenigen, die im deutschsprachigen Raum präsent sind und ihre Geschichte teilen. Das ist mutig und verdient Respekt.

„Weg ins Leben“ macht anderen gewaltbetroffenen Männern* Mut, sich frühzeitig Hilfe zu holen. Es sensibilisiert ebenso Freunde und Bekannte und lädt zum Handeln und nicht zum Wegsehen ein. Die Lektüre lohnt sich schließlich auch für Gewalt- oder Männer*berater*innen, bietet sie doch bemerkenswerte Einblicke in die Lebenssituation und Gefühlswelt gewaltbetroffener Männer*.

Mit seinem zweiten Buch beleuchtet Weissenberg einerseits die traumatischen Erfahrungen einer Einzelperson und analysiert anderseits allgemeinere Zusammenhänge von Gewalt und Opferwerdung. So trägt das Buch dazu bei, den öffentlichen Diskurs um Männer*, die von häuslicher Gewalt betroffen, weiter voranzutreiben. Denn eins ist klar: Aufklärung und die Schaffung selbstverständlicher Hilfeangebote tun weiterhin Not.

Tami Weissenberg ist in Plauen im Vogtland seit 2018 beim Aufbau einer Männer*schutzeinrichtung beteiligt, die aktuell zwei Plätze für Betroffene und deren Kinder vorhält. Dafür muss er sich auf keinen Fall entschuldigen.

Weissenberg, Tami, “Weg ins Leben” ist erschienen bei der Edition Outbird, Paperback, für 11,90 € zzgl. Versandkosten.

* Wir respektieren geschlechtliche und sexuelle Vielfalt.

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